Dieses Fazit zog Maria Noichl, EU-Abgeordnete aus Rosenheim am 21.4. in Herrsching. Sie ist eine von 27 deutschen und eine von 190 europäischen Abgeordneten des Parlaments in der sozialdemokratischen Fraktion S&D (alle Fraktionen zusammen: 751 Mitglieder) und zeigte damit auch gleich das vorherrschende Kräfteverhältnis in Straßburg auf. Die EU stecke derzeit in ihrer schwierigsten Krise, so Noichl. Auch wenn Christian Winklmeier, frisch gebackener Bundestagskandidat der Kreis-SPD, in seiner Eingangsrede die Chancen und Möglichkeiten dieses Bündnisses beschwört (immerhin bekam die EU 2012 den Friedensnobelpreis verliehen), so lässt sich unschwer feststellen, dass vor allem die nach der zweiten Osterweiterung 2004 neu hinzugekommenen Länder weniger an einem gemeinsamen Projekt interessiert sind, sondern nach den Jahren der Gängelung als Satelliten der UdSSR immer noch dabei sind, ihre nationale Identität zu suchen. Dabei lassen sie sich auch nicht von der EU und schon gar nicht von der oft als „oberlehrerhaft empfundenen Bundesrepublik dreinreden“, so Noichl.
Die derzeitige Spaltung innerhalb der EU geht aber nicht nur durch Ost und West. Es gibt auch große Unterschiede in den Lebensstandards zwischen den reicheren nordeuropäischen und den ärmeren südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal. Auch nach punktuellen Erfolgen in der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder sind wir noch sehr weit von annähernd gleichen Lebens- und Arbeitsverhältnissen entfernt (Renten, Arbeitnehmerrechte, Mindestlöhne). Angesichts hoher (Jugend-)Arbeitslosigkeit ist es verständlich, wenn diese Länder ihre Märkte schützen wollen. Sie wehren sich z. B. dagegen, mehr Olivenöl aus Nordafrika in die EU einzuführen. Damit könnten auch Fluchtursachen bekämpft werden, eine Forderung, die angesichts der Migrationszahlen lautstark erhoben wird. Aber auch die wohlhabenden Länder verhalten sich wenig solidarisch: Für die Bundesrepublik waren die Flüchtlinge sehr lange kein Thema, als Griechenland und Italien schon lange verzweifelt um Hilfe gerufen hatten.
Auch wenn das EU-Parlament nach dem Vertrag von Lissabon mehr Mitsprachemöglichkeiten erhalten hat, bestimmt die Kommission, also die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die Agenda der EU. So bringt die Kommission Abstimmungen oft als „Paket“ ins Parlament, und den Abgeordneten bleibt nichts anderes übrig, als auch „im Paket“ abzustimmen, auch wenn sie dem eigentlich nur in Teilen zustimmen wollen.
Die EU braucht die Sozialdemokratie. Gerechtere Lebensverhältnisse in den Mitgliedsstaaten, mehr Transparenz und Mitsprache für die Abgeordneten in den Gremien, mehr die Menschen im Blick, weniger nationale Egoismen. So wollen die deutschen Sozialdemokraten ihre osteuropäischen Mitstreiter/innen unterstützen bei der Verteidigung demokatischer Regeln in deren Ländern.
Was ist zu tun, wenn sich im „Haus Europa“ niemand mehr an die „Hausordnung“ hält, die bisher doch Wohlstand und Frieden garantiert hat – die Hausordnung ändern oder das Einigungspotential stärken? Die mit großem Engagement und Herzblut kämpfende Maria Noichl plädiert für Letzteres und die zahlreichen Zuhörer/innen in Herrsching trauen es ihr nach diesem Auftritt auch zu.
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